Magnetfeld der Erde: Feldumkehr oder vorübergehende Schwächung?

Das Erdmagnetfeld spielt eine wichtige Rolle für das Leben auf der Erde. Es bietet einen Schutzschild gegen hochenergetische ionisierende Strahlung aus dem All und wird nicht nur vom Menschen mithilfe des Kompasses, sondern auch von Tieren zur Navigation genutzt. Das Magnetfeld der Erde beeinflusst aber auch – wie unser Kollege, Herr Dr. Lamei, in „Tawan“, Ausgabe vom Herbst 2003 gezeigt hat – die Entwicklung von Organismen und die körperliche Vitalität. Doch woher kommt überhaupt dieses Magnetfeld? Ist es bloßer Zufall, dass magnetische und geographische Pole näherungsweise zusammenfallen? Wird das Magnetfeld möglicherweise bald verschwinden? Hier eine Zusammenfassung des neuesten Standes der Wissenschaft zu diesen Fragen:

In dem Film The Core – Der innere Kern, geschieht Schreckliches: Der rotierende, flüssige Kern der Erde kommt zum Stillstand. Das Magnetfeld wird schwächer, und der Globus verliert seinen Schutzschild gegen kosmische Strahlung und Sonnenwind. Navigationssysteme, Funkverkehr und Fernsehprogramme brechen zusammen.

Tatsache ist, dass das Erdmagnetfeld in den letzten Jahren stetig abnimmt. Zwar schwindet es nicht – wie im Film – innerhalb eines Jahres, aber für geologische Maßstäbe erstaunlich schnell.


Abnahme des Erdmagnetfeldes

Heutzutage vermessen Satelliten das Erdmagnetfeld mit äußerster Genauigkeit. 1980 wurden die ersten exakten Messungen vorgenommen. Der Vergleich mit den Daten, die die Satelliten in jüngster Zeit geliefert haben, zeigt, dass das Erdmagnetfeld in dieser vergleichsweise kurzen Zeitspanne um zehn Prozent abgenommen hat. Die Abnahme erfolgt jedoch nicht auf der ganzen Erde gleichmäßig, sondern es treten Unregelmäßigkeiten auf. Derzeit gibt es zwei große Störzonen im Magnetfeld der Erde. Die größere der beiden Störzonen liegt südlich Afrikas: Über den Südatlantik, zwischen Kapstadt und Buenos Aires, ist das Magnetfeld um 50 Prozent schwächer, als man erwarten würde. Geophysiker sprechen von der „südatlantischen Anomalie“. Die meisten Satelliten werden heute so programmiert, dass sie diese Gefahrenzone meiden. Die zweite Störzone liegt im Bereich des Nordpols. In dieser Region hat kosmische Strahlung etwa 1989 in Québec schon mal das Stromnetz lahm gelegt.

Da das Magnetfeld der Erde (genauer gesagt: das axiale Dipolmoment) seit 1840, als Gauß eine Methode zur absoluten Intensitätsmessung einführte,stetig abnimmt (etwa 6,6 Prozent pro Jahrhundert), kann man über eine bevorstehende Feldumkehr spekulieren. Bei linearer Extrapolation wäre dies in etwa 2000 Jahren der Fall. Während der Umpolung nimmt das Magnetfeld vorübergehend stark ab. Nach ein paar tausend Jahren wäre der Nordpol in der Antarktis angekommen. Aber Fluktuationen des Feldes hat es auch in Phasen stabiler Polarität immer gegeben und das Dipolmoment ist zurzeit noch größer, als es im Zeitmittel der letzten fünf Millionen Jahre war. Dennoch lässt es sich nicht ausschließen, dass wir uns in der Startphase zu einer Feldumkehr befinden könnten.

Bild 1: Magnetpolverschiebungen

Das Erdmagnetfeld: Kein Stabmagnet

Über 99 % der Quellen des Erdmagnetfeldes liegen im Erdinneren, und in erster Nährung lässt sich das Feld an der Erdoberfläche als das eines leicht gegen die Rotationsachse geneigten Stabmagneten (Dipol) im Erdmittelpunkt beschreiben. In etwa 60 bis 70 Grad geografischer Breite befinden sich konzentrierte Bündel magnetischen Flusses. Die Regionen unmittelbar um die Pole, wo ein reines Dipolfeld die größte radiale Flussdichte vorweisen müßte, sind dagegen durch verminderten bzw. inversen Fluss charakterisiert. Diese Abweichungen lassen sich durch die Überlagerung verschiedenster Multipolanteile beschreiben. Außerdem ändert sich das Magnetfeld langsam mit der Zeit.

Informationen zur Veränderung des Erdmagnetfeldes in der Erdgeschichte werden aus der Untersuchung von Lavagesteinen gewonnen. Kleine Mengen an ferromagnetischen Mineralien in Gesteinen von ozeanischen Inselvulkanen aus verschiedenen Epochen der Erdgeschichte konservieren in ihrer remanenten Magnetisierung bis heute Informationen über Richtung und Stärke des Feldes zu der Zeit, als das Gestein entstanden ist. Demnach hat es in der Vergangenheit zahlreiche Umpolungen des Erdmagnetfeldes gegeben (siehe Abbildung), die jedoch nicht periodisch wie bei der Sonne auftreten, sondern zufällig verteilt sind. Die Intervalle zwischen diesen Ereignissen waren etwa 200 000 Jahren, die letzte Magnetfeldumkehr war vor 780 000 Jahren.

Diese Beobachtungen zeigen aber auch, dass das Bild eines Stabmagneten im Erdzentrum nicht zutreffen kann. Die frühe Vorstellung, nach der das Erdmagnetfeld auf remanenter Magnetisierung beruht, lässt sich kaum mit der beobachteten Multipolanteile in Einklang bringen. Zudem verschwindet der Ferromagnetismus oberhalb der Curie-Temperatur, die für typische magnetische Mineralien in Tiefen von 10–20 km überschritten wird.

Die innere Struktur der Erde

Tiefer als 10 Kilometer können die Geologen nicht bohren. Daher versuchen sie das Erdinnere anhand von Erdbebenwellen zu rekonstruieren, die sich über den Globus ausbreiten – ähnlich wie der Frauenarzt per Ultraschall einen Embryo sichtbar macht. Wie Mutter Erde im Bauch aussieht, ist in groben Zügen bekannt:

1909 entdeckte der kroatische Wissenschaftler Mohorovicic mithilfe seismischer Messungen die untere Begrenzung der Erdkruste, die Mohorovicic-Diskontinuität (kurz „Moho“ genannt) und führte damit die Existenz einer „Erdkruste“ in unser Bild von der Erde ein. Diese Erdkruste ist unter den Kontinenten 30 bis 40 km dick, unter den Ozeanen etwa 10 km. 1912 gelang es dem deutschen Seismologen Beno Gutenberg, die Tiefe des Erdkerns mit knapp 3000 km (55 % des Erdradius) zu bestimmen. Der Bereich zwischen der Moho und dem Erdkern wurde von dem deutschen Geophysiker Emil Wiechert als Erdmantel bezeichnet, der im Wesentlichen aus magnesiumhaltigen Silikaten besteht. Der britische Geophysiker Harold Jeffreys wies dann 1926 nach, dass der Erdkern aus flüssigem Eisen besteht. Schließlich gelang es der dänischen Seismologin Inge Lehmann 1936, zwischen einem äußeren flüssigen und einem festen inneren Kern (etwa 20 % des Erdradius), die beide aus Eisen bestehen, zu unterscheiden. Die Dichte des Kerns ist allerdings geringfügig kleiner als die von reinem Eisen unter hohem Druck, sodass ca. 5–10 % eines leichteren chemischen Elements (z.B. Si, S, O – genaueres weiß man nicht) dazu legiert sein müssen.

Heute geht man davon aus, dass das Magnetfeld der Erde durch Strömungen im flüssigen Teil des Erdkerns erzeugt wird, man spricht hierbei vom „Geodynamo“. Eine mögliche Ursache dieser Strömungen ist thermische Konvektion. Sie wird hauptsächlich durch die seit Entstehung der Erde gespeicherte Wärme angetrieben, die in einem langsamen Abkühlprozess verloren geht. Noch wichtiger sind wahrscheinlich chemisch getriebene Strömungen.

Ein allgemein bekanntes Beispiel für chemische Konvektion sind die großräumigen Strömungen in den Ozeanen, wo Dichtevariationen aufgrund eines unterschiedlichen Salzgehalts zum Antrieb der Tiefenzirkulation beitragen. Im flüssigen Kern der Erde beruht die chemische Konvektion auf einer zunehmenden Anreicherung der leichten chemischen Elemente in der Legierung. Im Zuge der Abkühlung der Erde kristallisiert nahezu reines Eisen am Rand des inneren Kerns aus (der dadurch wächst). Die leichte Komponente konzentriert sich in einer dünnen Flüssigkeitsschicht um den inneren Kern und verleiht ihr Auftrieb. Eine weitere mögliche Energiequelle für den Geodynamo ist die Erdrotation um die eigene Achse.

Weil das flüssige Metall ein guter Leiter ist, erzeugen diese Strömungen wie in einem Dynamo ein elektromagnetisches Feld – das Magnetfeld der Erde. Die dabei induzierten elektrischen Ströme müssen aber stark genug sein und die richtige Geometrie haben, um das zur Induktion nötige Magnetfeld immer von neuem aufzubauen.

Mithilfe von Experimenten und numerischen Simulationen lassen sich manche Eigenschaften des Erdmagnetfelds mittlerweile gut reproduzieren und Theorien über die zugrunde liegenden Mechanismen – z.B. über die oben erwähnte Geometrie der Strömungen im Erdinneren – formulieren.

Magnetfelderzeugung in homogenen Dynamos

Dynamos begegnen uns im täglichen Leben, man findet sie an Fahrrädern und in Autos. Auch in diesen Apparaten wird mechanische in elektromagnetische Energie umgewandelt.

Bild 2: Geodynamo

Ihre Funktionsweise basiert allerdings auf einer geschickten Anordnung des elektrischen Leiters, z. B. in Form einer Spule. Im Erdkern haben wir es dagegen mit einer Kugel mit nahezu homogener elektrischer Leitfähigkeit zu tun. In technischer Betrachtungsweise sind die verschiedenen Bereiche des Kerns also kurzgeschlossen, und es stellt sich die Frage, ob in einer solchen Umgebung der Dynamoeffekt überhaupt wirksam sein kann. Diese Frage ist bis Ende der 50er Jahre offen geblieben, als die ersten theoretischen Beispiele funktionierender Dynamos entwickelt wurden. Man bezeichnet diese Dynamos als „homogene“ Dynamos, um sie von ihren „technischen“ Gegenübern zu unterscheiden.

Ein homogener Dynamo verlangt sowohl ein dreidimensionales Magnetfeld als auch ein dreidimensionales Geschwindigkeitsfeld. Numerische Simulationen des vollen Dynamoproblems sind deshalb erst Mitte der 90er Jahre praktikabel geworden. Seither hat die Untersuchung des Geodynamos einen gewaltigen Aufschwung erfahren.

Die Simulationsmodelle zeigen, dass im flüssigen Erdkern Konvektionssäulen mit zyklonalem Drehsinn vorhanden sein müssen, die sich in z-Richtung (d. h. parallel zur Rotationsachse der Erde) von der Nordhemisphäre in die Südhemisphäre erstrecken (siehe Abbildung auf der vorigen Seite). Sie zeigen weiteres, dass magnetische Flusskonzentrationen tatsächlich mit turbulenten Strömungen im Erdkern verbunden sind und erst das Zusammenspiel der Zellen den Dynamoeffekt ermöglicht.

Ein weiteres Ergebnis ist, dass während der Feldumkehr der Dipolanteil gegenüber den Quadropol- and Oktupolkomponenten zurück tritt, und dass die Erde zur Erzeugung ihres Magnetfeldes nur die Leistung von umgerechnet 200 bis 500 großen Kraftwerken braucht. Erforderlich sind demnach etwa 200.000 bis 500.000 Megawatt, was etwa 0,6 bis 1 % der Wärmeverluste der Erde ausmacht.

Noch arbeiten diese Simulationen aufgrund begrenzter Rechenkapazitäten mit starken Vereinfachungen und teilweise unrealistischen Annahmen. Hinzu kommen offene Fragen wie: Welche chemischen Elemente bilden neben Eisen den Kern der Erde? Und viele andere. Deshalb lassen die Simulationen eine begründete Prognose über die zukünftige Feldentwicklung der Erde nicht zu. Mit anderen Worten: sie können noch nicht erklären, ob es sich bei der momentanen Schwäche des Erdmagnetfeldes um „normale“ Fluktuationen des Feldes handelt oder ob wir uns in der Startphase zu einer Feldumkehr befinden.

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Quellen:

1. Die Erde, Rolf Emmermann und Volker Haak, Physik Journal 1 (2002) Nr. 10, Seiten 29-31

2. Der Geodynamo, U. R. Christensen, A. Tilgner, Physik Journal 1 (2002) Nr. 10, Seiten 41-47

3. Power Requirement of the geodynamo …, U. R. Christensen, A. Tilgner, Nature 429 (13 May 2004)

4. Wenn der Kern spinnt, Max Rauner, Die Zeit 27.03.2003, Nr. 14

5. Das Erdmagnetfeld während der Umpolung, Münchner Wissenschaftstage, Lebendige Erde, Okt. 2002

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