Warum ist heute der Mond so groß?
Das Mond- und Sonnenphänomen und der Einfluss der Atmosphäre
Vom W. A. Kreiner
Ulm, Februar 2001
Mond und Sonne erscheinen am Horizont immer größer als hoch am Himmel. Etwa um einen Faktor zwei. Manchmal jedoch zeigt sich der Mond in noch viel auffallenderer Größe oder wird gar als riesig empfunden, wenn er zum Beispiel zwischen Baumstämmen durchschimmert oder über der schwarzen Stadtsilhouette hängt. Beim Mondphänomen handelt es sich um eine echte Sinnestäuschung; also eine Wahrnehmung, wie sie durch kein anderes objektives Messverfahren bestätigt werden kann.
Es gibt mehr als 12 Erklärungsversuche für dieses Phänomen, die in dem Buch beschrieben werden:
- Größenkorrektur nach der scheinbaren Entfernung
- Größenvergleich
- Struktur
- Wahrnehmungswinkel
- Adaption Level
- Unterschied in der Sehgrößenkonstanz, Winkelkonstanz
- Einrahmungseffekt
- Lichtbrechung
- Nachleuchteffekt auf der Netzhaut
- Blickrichtungshypothese
- Die Größe der Pupille
- Die Schwerkraft
Der Autor versucht, mit Hilfe von nachrichtentechnischen Theorien eine weitere, übergeordnete Erklärung zu geben:
Das visuelle System reagiert auf physikalische Beobachtungsparameter, die zwar nicht die Bildgröße oder -kontur auf der Netzhaut ändern, aber die Verarbeitung des optischen Eindrucks beeinflussen. Das Gehirn entscheidet zwar, an welcher Art von Information es interessiert ist, aber eine ausreichende Wahrnehmbarkeit ist dafür Voraussetzung. Viele Kriterien, die über die Wahrnehmbarkeit entscheiden, bestehen in objektiv messbare Parametern. Sie tragen wesentlich bei zur Entscheidung für einen größeren oder kleineren Wahrnehmungswinkel.
Bei Blickrichtung in den hellen Mond bei Nacht (und vor allem bei rotem Mond in leicht dunstiger Atmosphäre) wird die Kontrastschwelle im Bereich der Mondscheibe hoch gesetzt und in der kaum beleuchteten und von Streulicht überlagerten Umgebung können kaum noch Graustufen unterschieden werden. Die optimale Kontrastwahrnehmung gilt dann nur für den durch die Mondscheibe begrenzten Bereich und die Umgebung des Himmelkörpers ist in Bezug auf die Erkennbarkeit von Details benachteiligt. Ein komplementärer Fall liegt beim Blick in eine noch sehr stark strahlende, untergehende Sonne vor: Sie zeigt zwar große Helligkeit, aber wenig Kontrast. In beiden – sehr gegensätzlichen – Fällen, nämlich aus der Umgebung des Monds und beim Blick in eine blendende Sonne ist also deutlich weniger Information pro Raumwinkel zu erwarten als unter Bedingungen, bei denen optimale Kontrastwahrnehmung herrscht.
Bildumfang und Auflösung (= Detailwahrnehmung) sind innerhalb weiter Grenzen variabel und gegeneinander austauschbar. Maßgebend für diesen Zusammenhang sind nachrichtentechnische Kriterien bei der Bildverarbeitung: Je kleiner der Raumwinkel und damit der Umfang des Bilds, desto mehr Details werden wahrgenommen.
Je deutlicher und klarer die Sicht in deren Bereich im Vergleich zur Umgebung, desto mehr Information pro Fläche ist erzielbar und desto enger wird der Raumwinkel der optimalen Wahrnehmung.
Es scheint eine Reihe von verwandten Phänomenen in anderen Wahrnehmungsbereichen zu geben. Das Einengen des Bewusstseins auf einen kleineren Beobachtungsraum mit dem Ziel, Deutlichkeit im Detail zu gewinnen, ist auch in akustischer Form bekannt, nämlich im Hinblick auf einen bestimmten Frequenzbereich, etwa wenn eine Mutter ihren Säugling aus einem Stimmengewirr heraushört.
Auch das subjektive Zeitempfinden kennt etwas Vergleichbares: Ein Zeitabschnitt, in dem sich viel und Eindrucksvolles ereignet hat, erscheint in der Erinnerung sehr lang, also stark vergrößert, alles davor wird als weit zurückliegend empfunden (Vergleiche: Thomas Mann, Der Zauberberg: Exkurs über den Zeitsinn). Monoton verlaufene Zeit erscheint in der Erinnerung verkürzt.
Diesem Wettbewerb „Umfang gegen Auflösung“ scheinen auch die verschiedenen Sinne untereinander zu unterliegen: Oft tritt die Empfindung bei mehreren Sinnen vollständig zurück zugunsten des Eindrucks, den ein einzelner Sinn vermittelt und der dann einen ganz bestimmten Aspekt groß in das Bewusstsein treten lässt.
Wer an ausführliche Erläuterungen und interessante Darstellung der Phänomene interessiert ist, empfehlen wir das Lesen des Buches aufs Herzlichste. Im Übrigen ganz einfach per kostenlosem Download aus dem Internet:
http://vts.uni-ulm.de/docs/2001/589/vts_589.pdf