Architekten planen Häuser und entwerfen Inneneinrichtungen, selbst vor Möbelstücken machen sie nicht Halt. Ebenso treiben sie aber auch im Bereich der Stadt- oder Landschaftsplanung ihr (Un)Wesen. Ganz umtriebige Zeitgenossen findet man gar als Ausstellungskurator oder beim Kulissenbau für Theater und Opernhäuser. Manche entwerfen sogar Yachten, verwirklichen sich als Produkt- und Industriedesigner oder verdingen sich als Karikaturist.
Die Betätigungsfelder ist offenbar breit gefächert. Weniger oft ist die Gattung Architekt in rein technischen Bereichen anzutreffen. Zu groß ist anscheinend der Respekt vor der Technik oder die Angst vor künstlerischer Einschränkung, dabei wäre gerade bei ganz alltäglichen, technischen Funktionselementen ab und zu ein künstlerisches Händchen vonnöten.
Der Mödlinger Architekt Wolfgang Brunbauer wagte den Schritt in unbekanntes Terrain. Mit der gängigen Praxis des Lärmschutzes oder vielmehr mit der formalen Ausformulierung der Lärmschutzwände selbst unzufrieden, entwickelte er ein Lärmschutzsystem, das sich nicht nur durch seine bessere Wirkungsweise, sondern auch durch seine ansprechende Optik und eine wesentlich längere Lebensdauer deutlich von den bisher eingesetzten Systemen unterscheidet. Die Produkte seiner Firma CALMA-TEC, die er nach der Entwicklung und Patentierung des ersten Prototypen gründete, bringen einen Paradigmenwechsel im Bereich der Lärmschutztechnik an Verkehrsbändern.
Bisher waren Lärmschutzwände als Zäune mit eingeschobenen Absorbern konzipiert. Die CALMA-TEC-Lärmschutzwand funktioniert als schwingendes System, bei dem Luftstöße und akustische Schwingungen im Schutzsystem absorbiert werden. Das akustische System beruht dabei auf der besonderen Form. Der Lärmspoiler hat eine nach außen gekrümmte Beugekante, die an der Oberkante in einen außen liegenden Wulst mündet.
Die verwendeten Absorber bewirken nicht nur Absorbtions- sondern auch Interferenzphänomene, die zu einer wesentlich besseren Schirmwirkung führen. Damit kann im Vergleich zu herkömmlichen Wänden wesentlich an Höhe gespart werden. Der Ausblick vom Bahn- oder Autofenster auf die Landschaft ist damit wieder gegeben. Messungen an der Pilotstrecke in Deutschland haben im Vergleich des Lärmspoilers mit gleich hohen, hochabsorbierenden Wänden eine Verbesserung des Lärmschutzpegels von über 4 db(A) ergeben.
In Bezug auf die Konstruktion zeichnet sich der Lärmspoiler durch seine Steifheit und Leichtigkeit aus. Dank Letzterer ist es auch an schwer zugängigen Strecken möglich, die Wände zu installieren. Je nach Größe und Höhe können die Spoiler auch von zwei bis vier Männern versetzt und montiert werden. Die stranggepressten Aluminiumprofile weisen darüber hinaus hohe Widerstandsmomente auf und eignen sich damit, selbst die Windstöße einer vorüber rasenden Hochgeschwindigkeitsbahn schadlos aufzunehmen. Durch eine intelligente Profilgestaltung kann auf jegliche Nietverbindungen – die bei hochbeanspruchten Systemen generell eine potenzielle Schwachstelle darstellen – verzichtet werden.
Die Aluminiumprofile, die die Schallabsorber tragen, sind über ein Klicksystem kraftschlüssig miteinander verbunden und bilden eine homogen gekrümmte Schale, die über spezielle Halterungen seitlich in die Säulen eingespannt ist. Die Säulen selbst sind als T-Profile ausgebildet, GV-Schrauben und Winkelprofile pressen die Absorber an den Flansch der Säule. Schwingungstechnisch sind die Säulen so konzipiert, dass die Schwingungsfrequenz, die der Verkehr verursacht, deutlich außerhalb ihrer Eigenfrequenz liegt. Der schwächste Punkt jeder Lärmschutzwand sind die Schallabsorber, die durch Vibrationen, Klimaeinwirkungen, mechanische Beschädigungen, Verschmutzungen und ganz normale Alterserscheinungen nicht nur in ihrer optischen Erscheinung sondern vor allem auch in Bezug auf ihre Wirkungsweise beeinträchtigt werden. Die Lösung dieses Problems ist der einfache und zerstörungsfreie Austausch schadhafter oder verbrauchter Absorber. Das Tragsystem bleibt vom Austausch unbeeinträchtigt.
Architekt Brunbauer betrachtet sein Lärmschutz-system als komplexes Wirksystem vom Wandscheitel bis zur Fundamentsohle. Das heißt, es gibt keine standardisierte Form, jede Lärmschutzwand ist auf die jeweiligen Bedürfnisse und Anforderungen maßgeschneidert. Der akusitsche Schall wird vor der Auslegung des Systems ebenso analysiert wie die Vibrationen, die sich aus den Verkehrsereignissen ergeben. Auf der Basis der Ergebnisse werden die einzelnen Systemelemente entsprechend strukturiert und dimensioniert. Die Lastabtragung erfolgt über die Einspannung der T-Säulen ins Fundament über Köcher oder Ankerverschraubungen, abhängig von den jeweiligen Bodenverhältnissen. Erste Erfahrungswerte konnte Wolfgang Brunbauer mit der Realisierung einer Versuchsstrecke für die Deutsche Bahn AG im bayrischen Brannenburg sammeln. Seit mehr als fünf Jahren ist das Lärmschutzsystem dort “in Betrieb”. Bislang gibt es keine Schäden oder Mängel am System, darüber hinaus hat eine nochmalige Messung ergeben, dass auch in Bezug auf den Wirkungsgrad keine Verschlechterung feststellbar ist.
Weitere Projekte sind bereits in Planung, beispielsweise für die Pilotstrecke bei Strengberg in Deutschland, neun Meter hohe Systemwände für die A9 bei München oder weitgespannte Stahl-Binderkonstruktionen für komplette Autobahneinhausungen.
Jüngste Neuentwicklung ist eine Wand für die Hochgeschwindigkeitsstrecken der Deutschen Bahn. Die neue Lärmschutzwand besitzt eine Dauerfestigkeit, die auf fünf Millionen HG-Airschocks von 300 km/h schnellen Zügen ausgelegt ist. Das entspricht einer Belastung von fünfzig Jahren.
In Österreich wurde bislang noch keine herkömmliche Lärmschutzwand durch die neuen, designorientierten Lärmspoiler ersetzt. Zu hoch sind den Verantwortlichen anscheinend noch die Investitionskosten, obgleich nach Angaben des Herstellers die Spoilerwände zirka fünfmal so lange wie die Standardlärmschutzwände halten und daruch quasi sich selbst finanzieren würden. Ganz zu Schweigen von der optischen Aufwertung, die ein weiteres Argument für deren Einsatz wäre. ◙