Schahname, Ferdowsis Meisterwerk

So hat der iranische Dichter Mansour Abolghasem Ferdowsi schon zu Lebzeiten sein Werk bewertet, und bis zum heutigen Tag weiß das iranische Volk dieses herkulische Meisterwerk zu schätzen. Ferdowsi wurde als Sohn eines Landmannes zwischen 932 und 936 n.Chr. in Bazh, einem Dorf im Bezirk Tus im Nordosten Irans, geboren und ist dort im Jahr 1020 gestorben. Sein Name „Ferdowsi“ (der Paradiesische) ist eigentlich sein Künstlername. Er gilt als einer der größten persischen Dichter. Er war der Hauptautor des monumentalen iranischen Epos Schahname, das zu einem kleinen Teil von Daghighi (ca. 1000 Verse) begonnen wurde und 400 n.d.H. (ca. 1009 n.Chr.) von Ferdowsi beendet wurde. Es schildert die Geschichte des Irans bis zum Verfall des Sassanidenreiches. Zu den schönsten und spannendsten Teilen gehören die Heldentaten des ruhmreichen Kämpfers Rostam. Eine weitere Geschichte erzählt das tragische Schicksal des königlichen Prinzen Esfandyar, die als eine der ergreifendsten Darstellungen eines Konfliktes zwischen „Pflicht und Charakter“ im zerbrechenden Heldenleben gilt.

Ferdowsi begann um das Jahr 975 den reichen Schatz an Volksüberlieferungen, Sagen und Geschichten im Iran neu zu gestalten. Mehr als 30 Jahre lang arbeitete er an seinem großen Werk, am 25. Februar 1010 war Schahname vollendet. Ferdowsi selbst hat seinem Schahname etwa 60.000 Verse zugeschrieben, eine runde, wohl etwas aufgerundete Zahl. Die neuere Forschung betrachtet sie als Obergrenze. Ferdowsis Werk musste aber fast drei Jahrhunderte darauf warten, bis es zum ersten Male kopiert und illustriert wurde. Es scheint, dass ein erster Versuch der Erstellung einer zuverlässigen Schahname-Textausgabe bereits im mittelalterlichen Iran unternommen wurde. Der Teymuridenherrscher Baisonghor ließ 1425 ein Schahname-Manuskript vollenden und für sich illustrieren. Nach jüngsten Forschungen italienischer Gelehrter wird eine Schahname-Handschrift aus dem Jahre 1217 nunmehr als älteste Ausgabe des Werkes anerkannt.

Die epische Malerei hatte gegen Mitte des 14. Jahrhunderts ihren Höhepunkt überschritten. Jeder König oder Sultan hatte versucht, ein eigenes Manuskript mit besten Miniaturen für sich zu schaffen. Die Miniaturisten der Hofateliers in verschiedenen Städten wie Tabriz (Täbris), Ghazwin (Kazwin), Esfahan (Isfahan), Schiraz, Herat u.a. haben uns mehr als hundertfünfzig wertvolle Manuskripte mit Miniaturen hinterlassen, die sich in den berühmten Museen der Welt, Bibliotheken und Privatsammlungen befinden. Nach meiner persönlichen Recherche im Jahre 1975 mit dem Namen: „Schahname-Manuskripte in den Weltmuseen“ (Schahname dar Muse-ha) wurden mir aus 14 Staaten über mehr als 181 Manuskripte (Koskhe-ye Khati), Berichte, Dokumente und Dia-Fotos von Miniaturen geschickt. Zudem gibt es noch hunderte einzelne oder vereinzelte Handschrift-Blätter oder illustrierte Blätter in Museen und Privatsammlungen zu bewundern. In der höfischen Bibliothek (Ketabkhane) arbeitete selbst „seine Majestät Schah Tahmasp“ gemeinsam mit den Künstlern und Kalligraphen am berühmten „Schahname von Schah Tahmasp“.

Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts nannte der deutsche Orientalist Theodor Nöldeke das Schahname in einer auch heute noch grundlegenden Untersuchung „das iranische Nationalepos“. Schahname ist gemeinsames Eigentum der iranischen Völker- und Sprachfamilien des Mittleren Ostens, Irans, Kordestans, Afghanestans und Tadschikestans bis auf den heutigen Tag. Nach dem Hafez-Diwan ist „Schahname“ ein Bestandteil jeder Hausbibliothek der Iraner. In Winternächten versammelt sich die Familie um das Korsi [1], einer der Familienmitglieder liest und interpretiert erzählerisch aus ausgewählten Szenen von Schahname.

So hat der persische Schriftsteller Bozorg Alavi in Teheran die traditionelle Nacherzählung von Geschichten aus dem Schahname-Epos in seiner Kindheit gehört und erinnert sich noch nach Jahrzehnten mit großer Lebhaftigkeit an diese Erlebnisse in seinem Buch „Das Land der Rosen und der Nachtigallen“: Es war im Monat Ramazan, in dem, nach dem täglichen Fasten, nachts ein reges Leben einsetzte. Ich durfte in Begleitung eines Bruders meiner Amme einen kleinen Spaziergang durch die Straßen unternehmen, und oft, ohne dass meine Eltern davon wussten, besuchten wir eins der Kaffeehäuser Teherans, das in einem großen Garten stand. Gaslampen erleuchteten die Gegend taghell und stimmten mich besonders feierlich. Die Menschen saßen auf Teppichen oder auf Steinbänken. Sie tranken Tee und rauchten Wasserpfeifen. Alles war ruhig, nur das Klirren der Tassen und Untertassen, sowie die Stimme des Erzählers, der im Garten auf und ab ging, hin und wieder in die Hände klatschte und lebhaft gestikulierte, durchbrachen das Schweigen. Die Menschen gafften mit offenem Munde den Erzähler an und waren entzückt vom Klang seiner Stimme, vom Glanz seiner Augen, von den Bewegungen seiner Hände. Er erzählte von dem Helden Rostam, von seinen Abenteuern, dem Kampf gegen die Ungeheuer (Diven). Er erzählte, wie der gutmütige Held unwissentlich seinen eigenen Sohn Sohrab tötete. Dieser Meistererzähler war nicht nur Rezitator, der Auswendiggelerntes deklamierte, nein, er war ein Dichter. Er musste selber die passenden Worte improvisieren. Er war Dichter, Rezitator und Schauspieler zugleich.

Ferdowsi

Dass Ferdowsi die Empfehlung zur Erstellung der Schahname-Dichtung vom Samaniden-Herrscher erhalten hatte, scheint glaubwürdiger zu sein als eine im Voraus versprochene Belohnung von Soltan Mahmud von Ghazne. Ferdowsi begann mit der Schahname-Dichtung viel früher, als Mahmud noch ein Kind war. Es ist aber keine seltsame Sache, dass die Lüge genauso Gläubige findet wie die Wahrheit. Andererseits kann man durchaus daran glauben, dass der Dichter, nachdem er sein Buch beendet hatte, Mahmud um Unterstützung bei dessen Verbreitung gebeten hat. Heinrich Heine hat das Geschehen einfühlsam nacherzählt:

Als vollendet war das Lied,
überschickte seinem Gönner

der Poet das Manuskript,
zweihunderttausend Verse.

———————-
Fussnote:

  • 1. „Korsi“ ist ein kurzbeiniger großer Tisch, der mit riesigen Wolldecken bedeckt wird. Unter dem Tisch wird eine Stelle wie ein Viereckbecken gegraben, so breit, dass der „Korsi“ an den Rand des Beckens grenzt. Im mittleren Teil des Beckens wird noch ein rundes Loch geschaffen, um ein Tongefäß, das befestigt und mit Asche gefüllt wird, hinzustellen. In der Winterzeit bedeckt man die glühenden Kohlen darin mit der Asche. Die beliebtesten Schlafstellen in der damaligen kalten Winterzeit waren an den vier Seiten des Korsi. Am Abend, nach dem Abendessen, versammelten sich die Familienmitglieder, besonders die Kinder und Jugendlichen um den Korsi. Die Oberfläche des Korsi wurde mit einem sauberen Tischtuch bedeckt. Alle Sorten von getrockneten Naschsachen waren auf dem Tisch (Korsi). An den drei Seiten des Korsi waren Matratzen ausgebreitet und runde dicke Lehnpolster, für je 2 bis 3 Personen. Am Kopf des Tisches (des Korsi) saßen die Großeltern oder Eltern. Der Großvater, der Vater oder ein anderes erwachsenes Mitglied der Familie hatte die Rolle des Erziehers inne, er war auch derjenige, der aus dem Schahname Verse vorgelesen und teilweise auch interpretiert hat.
Scroll to Top